Aufgabenverteilung im Tango: Männer führen und Frauen folgen

Es ist seltsam. Das was ich mit diesem Artikel beschreibe ist etwas, das ich immer wieder wahrnehme bei Menschen die Tango tanzen. Ich kann noch so stark der Meinung sein, dass es keinen Geschlechterunterschied gibt, dass es nur Führende und Folgende und Menschen im Tango gibt die auch beide Rollen tanzen. Und doch scheint es so zu sein, dass ein Großteil der Menschen die mit Tango anfangen am Anfang genau dem erliegen, was man als konservatives Menschenbild beschreiben könnte.

Viele Frauen und Männer im Tango tanzen am Anfang in der Rolle die sie laut Prägung innehaben. Manche gehen sogar genau wegen dieser Rolle zum Tango. Dann wollen Männer endlich mal führen, egal was sie im „richtigen“ Leben machen und Frauen sich führen lassen, sicher und geborgen fühlen.

Die Welt da draußen ist anders, jeder hat Verantwortung zu tragen und muss sich auf der anderen Seite anderen Menschen unterordnen. Tango soll da vielleicht ein Ersatz für manche sein. Ein Ersatz für das was sich Menschen wünschen, ein Ersatz für die „Wirklichkeit“.

Was passiert nun wenn diese Menschen entsprechend ihrem Geschlecht die entsprechende Rolle ausfüllen, also Männer die führende Rolle übernehmen und Frauen die folgende Rolle?

Verteilt man die Verantwortlichkeiten anhand der Ideen über den Tango, die bei (Noch-)Nicht-(Tango-)Tänzern vorhanden sind, ist es ziemlich eindeutig. Der Mann zeigt wo es lang geht und die Frau kann dem Ganzen die Würze geben.

In der Reihenfolge des Lernens zeigt sich hier dann ein Unterschied zwischen Idee und Wirklichkeit. Führende versuchen gleichzeitig alles zu machen: die Musik zu interpretieren indem sie den Takt halten und vielleicht noch ab und zu eine Verdopplung einbauen. Sie sind für die Beobachtung des Raumes zuständig. Sie kümmern sich um die Bewegung für beide Tanzpartner, darum wo beide ihre Füße haben, wann beide einen Schritt setzen und wo genau dieser landen soll. In geschlossener Tanzhaltung kümmern sie sich sogar um das Gleichgewicht des Tanzpaares.

Folgende erliegen dann folgerichtig der Meinung, dass genau diese Aufgaben den Führenden gehören. Sie lassen sich führen und tun Nichts mehr selbst – am Anfang ihrer Tangokarriere. Ihren ganzen Körper geben sie den Männern in die Hand. Jeder Schritt wird durch ihn geführt. Manchmal, vielleicht nach dem Besuch eines Folgenden-Workshops, haben sie neue Ideen. Sie fangen an zu improvisieren. Leider manchmal auf Kosten des eigenen Gleichgewichtes und damit des Gleichgewichtes des Paares. Oder auf Kosten der Musik oder des Tanzflusse.

Die Meinungen der Folgenden und Führenden, der Frauen und Männer über die unterschiedlichen Aufgaben, decken sich also zwangsläufig in dieser Phase des Tangos.

Was folgt aus dieser Aufteilung der Rollen? Männer die sich diesem Tanz nähern und einfach nur einen Tanz zur Entspannung gesucht haben, geben oft einfach auf. Der Unterschied von Tango zu anderen Tänzen sind die vielen Variablen die zu beachten sind. Alles kann variiert werden. Die Geschwindigkeit, die Position der Tanzpartner zueinander, die Umarmung, der Ausdruck, die Art der Musik. Alles kann sich von einem Schritt zum anderen komplett ändern. Das ist in keinem anderen Tanz der Fall. Tango ist einzigartig – und einzigartig komplex.

Eine Aufteilung der Rollen wie sie bei anderen Tänzen möglich ist funktioniert hier nicht. Bei anderen Tänzen werden unterschiedliche Schrittfolgen immer wieder wiederholt. Das ermöglicht eine Automatisierung. Auch Folgende müssen dabei einen Teil auswendig lernen um mit anderen tanzen zu können. Genau hier ist der Unterschied. Im Tango ist ein auswendig lernen nicht notwendig. Und wenn Menschen Tango tanzen wie andere Tänze, also mit festen Schrittfolgen, nehmen sie sich viel der Freiheit und Schönheit des Tangos. Das Entdecken eines Liedes immer wieder neu. Mit jedem Tanz. Mit jedem Tanzpartner.

Auf dem Weg dahin, im Unterricht der unterschiedlichen Schulen, gehen Frauen und Männer auf die Jagd nach ihren Vorstellungen. Männer brauchen dann sehr lange um den Anfang zu machen. Frauen geht dies oft nicht schnell genug. Männer sind mit ihren Aufgaben überfordert. Und bereits im Unterricht werden Frauen vielleicht sogar nur dazu genutzt um herauszubekommen, ob das was die Männer machen richtig ist. Frauen wird langweilig und sie lernen zwangsläufig Schrittfolgen auswendig, die sie im Unterricht präsentiert bekommen. Sie fangen an Tango wie andere Tänze zu tanzen. Sie reagieren viel zu schnell auf einen Bewegungsimpuls ihres Tanzpartners und spulen danach eine auswendig gelernte Schrittfolge ab. Und kommen oft zu dem Schluss, dass sie Tango anders viel schneller lernen. Mit ein paar Einzelstunden und viel Tanzen. Was meist auch der Fall ist, das gilt allerdings für beide Rollen und Geschlechter.

Doch gibt es einen gemeinsamen Ausweg, einen Ausweg für das Tanzpaar im Gruppenunterricht?

Es sollte immer wieder klar gemacht werden, dass beide Tanzpartner zum Gelingen des gemeinsamen Tanzes zu gleichen Teilen beitragen können. Jeder ist für sein Gleichgewicht selbst verantwortlich, egal ob in offener oder geschlossener Haltung. Jeder ist für den anderen und sich selbst verantwortlich. Beide achten darauf, dass sie den anderen nicht überfordern, jeweils mit dem anderen als Tanzpartner tanzen. Jeder der beiden hört die Musik und interpretiert in dem Maße wie er / sie es kann.

Wenn jeder den anderen respektiert und sich darum kümmert, jeweils mit und für den anderen zu tanzen, kann mit gegenseitigem Respekt vor der anderen Rolle ein wunderschöner Tanz Wirklichkeit werden, Tango.