Es gibt ein Sprichwort: Nichts hält länger als ein gutes Provisorium. Schätzen gelernt habe ich es in meinem früheren Leben, in dem ich auch mal handwerkliche Tätigkeiten ausgeführt habe – und immer noch gerne tue. Ein Streichholz, das einen herausgefallenen Dübel wieder an seinem Platz hält. Ein Stück Draht, das ein nicht funktionstüchtiges Fensterscharnier ersetzt.

Buenos Aires könnte ohne solche nicht existieren – oder würde viel von seinem Charme verlieren. Die Bürgersteige z.B.: werden diese neu gelegt, passiert das in schönster Ordnung und Qualität – oft aus Betonplatten. Und Betonplatten verlangen nach einer ordentlichen Befestigung – ebenfalls aus Beton. So werden diese zusammengehalten und am Untergrund verankert. Kommt dann ein paar Monate später jemand auf die Idee eine neue Leitung zum Haus zu legen … wird ein Teil dieser Betonplatten unweigerlich zerstört. Ein Ersatz ist aufgrund der brachialen Methode notwendig. Und ein Ersatz wird meist recht schnell hergestellt – durch eine schlichte Schicht Beton.

Nun ist das irgendeine Art Schnellbindebeton, es dauert nur wenige Stunden und er ist ausgehärtet, ich bin da kein Experte. Und da es so schnell geht, warum sollte man sich die Mühe machen und eine ordentliche Absperrung um diesen frischen Beton zu ziehen? Man nimmt, was gerade da ist, ein Besen, eine Dachlatte, ein halbvoller Sack Zement und stellt oder legt es als Markierung davor. Diese Hinweise ignorieren sowohl Hunde als auch Tauben. Und daher gibt es in vielen dieser Betonschichten auch dementsprechende Abdrücke.

Das Gute an den vielen Provisorien in Buenos Aires ist: es wird viel getan um Altes wiederzuverwenden – mal abgesehen von Betonplatten im Straßenbau. Autos werden sehr lange gefahren. Was natürlich einer Einsparung an natürlichen Ressourcen entgegenkommt. Der Luft in Buenos Aires verleiht es eine besondere, hier in Deutschland nur aus der Erinnerung zu rekonstruierenden Würze nach unverbranntem Benzin oder Diesel aus einem alten Mercedes.

Die Grundgeometrie von Buenos Aires besteht aus Quadraten von der Größe 100x100m. Ein solches Quadrat besteht außen meist aus einer Reihe von Häusern, die aneinandergrenzen. Eine Einfahrt oder ein Eingang in den inneren Bereich ist oft nicht unmittelbar zu erkennen. Natürlich gibt es diese inneren Bereiche. Diese sind teilweise mit kleineren Häusern, Werkstätten und Gewerbe oder sogar etwas Grün belegt. Die äußeren Häuser sind von sehr unterschiedlicher Höhe, von ca. 1-20 Stockwerke. Eines haben fast alle dieser Häuser gemeinsam. Sie haben keine Seitenfenster. Fenster sind nur nach vorne zur Straße und nach hinten zum inneren Bereich vorhanden. Diese Häuser sind oft sehr schmal an Vorder- und Rückseite, dafür aber meist doppelt so lang/tief wie breit. Wenn also ein hohes Haus zwischen zwei niedrigen steht, sieht es meist etwas merkwürdig aus, wenn nach vorne und hinten Balkone und Fenster eingebaut sind, zu den Seiten aber nicht. In jedem dieser Stockwerke sind i.d.R. 4-6 Wohnungen. Die Wohnungen nach vorne und nach hinten haben Fenster, die zur Seite meist nicht – oder nur zu einem Lichtschacht der sich in der Mitte des Hauses befindet. Es sind also oft Wohnungen ohne Fenster und befinden sich trotzdem in luftiger Höhe. Den Wohnungsbesitzern oder Mietern steht es frei diesen Umstand zu ändern. Wer es sich leisten kann, lässt sich auf eigene Kosten ein eigenes Fenster in so eine Wohnung einbauen – jeder so wie er/sie es für richtig hält. Die Position und Größe? Legt jeder selbst fest.

Provisorische Waschanlagen werden am Wochenende im Puerto Madero eingerichtet in der Nähe von Parks. Was ist notwendig? Ein Fass mit Wasser und die Herrschaft über ein paar Parkplätze. Wer einen Parkplatz (der eigentlich kostenlos ist) möchte, kauft eine Autowäsche und erhält somit einen Parkplatz, der auch gleichzeitig noch bewacht ist.

In allen Parks fahren besonders am Wochenende mobile und mit provisorischen Kühlboxen ausgestattete Getränke- und Eishändler umher. Eine herkömmliche Kühlbox ist oft zu klein für das reichhaltige Angebot der Händler. Außerdem bietet sie keine ausreichende Isolierung um Eis oder Kaltgetränke über Stunden auf sehr niedriger Temperatur zu halten – und das bei Außentemperaturen von 35-40°C. Die Kühlboxen bestehen aus dicken Styroporplatten, die mittels Paketklebeband zusammengehalten werden und mit einem Deckel versehen sind. Die Größe geht von tragbaren Modellen, über solche die Einkaufswagen füllen, bis hin zu Exemplarenmit eigenen Rollen – wie z.B. einem umfunktionierten Mülleimer mit Rollen, der einfach mit Styropor ummantelt wurde. Der große Klappdeckel gewährt einen hervorragenden Zugang zum Angebot.

Kommen wir zurück zu den Bürgersteigen, auf denen die Inhalte dieser Kühlboxen angeboten werden. Beton ist allgegenwärtig in Buenos Aires und wird viel verwendet. Straßenschilder werden im Bürgersteig einbetoniert. Viele dieser Straßenschilder sind offensichtlich nicht gegen die ständigen Reviermarkierungen der vielen Hunde gewappnet und rosten daher am Fuß nach und nach durch. Irgendwann führt das dazu, dass diese Schilder umfallen. Sie werden dann entfernt. Was übrig bleibt, ist ein rostiger Stumpf – der nicht entfernt wird. Er wird – wenn überhaupt – ein bisschen seiner scharfen Kanten beraubt und bleibt ansonsten ein schlecht sichtbares Hindernis am Rande des Bürgersteiges.

Bäume gibt es zum Glück an vielen Straßen. Sie stehen im Abstand von 10-20m als Allee am Straßenrand. Jeder Baum verfügt über sein eigenes kleines Reich – das allerdings nicht sehr groß ist. Sie erschnüffeln die Luft von Buenos Aires das erste Mal als kleiner, 2m hoher Setzling und erhalten zu dieser Zeit einen großzügigen Platz von 80x80cm Erde. Es ist offensichtlich nicht vorgesehen diesen Platz im Laufe des Lebens eines Baumes zu ändern. Mit steigendem Alter erreichen die Baumstämme dann den Rand dieses Bereiches. Erst wenn der Stamm die umliegenden Betonplatten anhebt und wegdrückt, werden Maßnahmen ergriffen um vielleicht doch mal wieder etwas mehr Platz zu schaffen. Es bleibt ein ungeklärtes Phänomen, wie diese Bäume überleben …

Ich liebe diese Stadt, ihre Besonderheit, ihre Menschen, den Tango den sie hervorgebracht hat.