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Tanzen lernen ist wie Sprachen lernen
In unserem Unterricht kommt es regelmäßig vor, dass Schüler den Satz sagen: „Das hat Lehrer X aber anders erklärt…“
Es gab einmal eine Zeit, in der habe ich grundsätzlich allen Schülern empfohlen andere Lehrer auszuprobieren und das kontinuierlich. Mittlerweile bin ich etwas anderer Meinung.
In der Schule werden neue Sprachen meist mit 2 Jahren Abstand gelernt. Zuerst wird eine neue Sprache angefangen und zwei Jahre später folgt die nächste. Warum ist das so? Weil das Gehirn erst einmal einen Teil eines neuen Wissensbereiches zu einem bestimmten Teil durchdringen muss, bevor ein ähnlicher, anderer Wissensbereich aufgebaut werden kann. Bei Kleinkindern, die zweisprachig aufwachsen, gibt es manchmal auch Phasen, wo Sprachen durcheinandergeworfen werden. Jedoch denke ich, dass diese das im Endeffekt meist trotzdem sehr gut hinbekommen.
Vor vielen vielen Jahren habe ich parallel mit unterschiedlichen Tanzstilen angefangen: Salsa, Bachata, Merengue und Tango. Standard/Latein habe ich noch parallel getanzt, das fiel aber nicht weiter ins Gewicht, da ich das schon bis zu einem gewissen Grad verinnerlicht hatte. Innerhalb einer Woche habe ich also mal einen Tag eher meine Hüfte bewegt und am nächsten Tag habe ich versucht das zu vermeiden. Das hat mir nicht gerade geholfen. Ich habe mich dann auf Tango konzentriert und es ging langsam voran.
Meiner Meinung nach ist es gut, wenn sich ein Schüler für etwas entschieden hat, dieses erst einmal bis zu einer gewissen Reife zu verfolgen. Wenn dies erfolgt ist und einige Bewegungen in Fleisch und Blut übergegangen sind, ist es auch wieder möglich auf anderen Spielplätzen spielen zu gehen – also andere Tangostile zu lernen. Ich rate meinen Schülern also weiterhin: Schaut euch um, prüft was euch gefällt. Und dann legt euch einfach mal für eine gewisse Zeit fest. Lasst euch auf einen Tangostil ein. Wenn ihr der Meinung seid diesen bis zu einem gewissen Grad verstanden zu haben, könnt ihr euch auch wieder andere Lehrer und Tangostile anschauen. Wenn euch das, was ihr lernt, nicht gefällt, gibt es keinen Grund nicht früher zu wechseln.
Ich war als Tangoschüler am Anfang blauäugig, weil ich einfach dem geglaubt habe, was meine Lehrer erklärt haben. Vieles wurde nicht begründet, sondern einfach als gesetzt dargestellt. „Im Tango macht man das so.“ Heute weiß ich, dass ich Nichts mehr als gegeben hinnehme, wenn ich nicht verstehe, warum etwas „so und nicht anders“ gemacht wird. Die Konvention „Tango“ reicht mir nicht mehr aus. Ich bin bestrebt alle meine Bewegungen auf etwas zurückzuführen, was ich meinem Tanzpartner, mir und meinem Körper zumuten kann. Es soll sich gut anfühlen und sinnvoll sein.
Genau das rate ich auch meinen Schüler*innen: Legt selbst eure Kriterien fest. Möchtet ihr auffällig tanzen? Was ist auffällig für euch? Welches Bild habt ihr vom Tango? Möchtet ihr so tanzen, wie ihr glaubt, dass Tango aussieht? Wollt ihr einen alten oder einen neuen Stil lernen? Etwas, das mittlerweile ein Großteil der Tänzer*innen in Buenos Aires tanzt? Wollt ihr viele Jahre oder vielleicht sogar Jahrzehnte so tanzen können? Ist euch eure Gesundheit wichtig?
Diese Fragen zu beantworten ist wichtig, weil bereits im Unterricht klar wird, in welche Richtung der Tanzstil geht, den ihr lernt. Erklärt euch der Lehrer, dass man das so macht im Tango? Oder die Lehrerin, dass das viel schöner aussieht? Das sind Aspekte, die für mich irrelevant sind. Für mich ist wichtig, dass sich etwas gut anfühlt. Und interessanterweise sieht für viele Menschen etwas, das sich für ein Tanzpaar gut anfühlt, auch optisch schön aus. Und wenn es einfach so ist, dass die Tänzer*innen glücklich wirken bei dem, was sie tun, weil sie es gerne tun.
Ihr werdet in unserem Unterricht immer wieder die Info bekommen, wo diese Bewegung im Alltag vorkommt, welche Bewegung ökonomisch oder gelenkschonend ist. Was sich für beide Partner besonders harmonisch oder verbunden anfühlen kann – was meist gleichbedeutend ist mit intensiv und schön.
Schaltet euer Gehirn ein, wenn ihr lernt und tanzt. Schaltet euer Gefühl ein, wenn ihr lernt und tanzt.